Montag, 12. Oktober 2015

"Und du bist nicht zurückgekommen" von Marceline Loridan-Ivens

Ein bedrückendes, sehr intensives Zeitzeugnis

15 Jahre alt ist Marceline gerade mal, als sie 1944 zusammen mit ihrem Vater deportiert wird. Der Vater kommt ins Vernichtungslager Auschwitz, Marceline nach Birkenau. Gerade mal 3 km trennen sie voneinander. Der Vater kommt um. Marceline überlebt. 

Ein einziges Mal konnte der Vater ihr eine kleine Botschaft übermitteln. Ein kleiner Brief. Wenige Zeilen. Marceline vergisst den Inhalt, doch den Brief, die Anrede an sich, das wird sie nie vergessen. Marceline kämpft. Der Vater hat ihr prophezeit, dass sie es schaffen kann. Sie sei stark. Und sie schafft es tatsächlich. Die Krematorien, den Geruch von verbranntem menschlichen Fleisch, den wird sie jedoch nie vergessen können. Sie muss in eisiger Kälte Gruben graben. Gruben, in denen vielleicht bald ihre eigenen Verwandten liegen. Sie trägt die Kleidung von Toten, doch sie überlebt. Sie steht mit anderen in der Schlange vor dem berüchtigten Arzt Mengele. Auf welche Seite wird man geschickt? Auf die Seite derer, die „aussortiert“ werden, die in die Gaskammer müssen oder auf die andere Seite?

Im hohen Alter schreibt Marceline Loridan-Ivens einen Brief an ihren längst verstorbenen Vater. Es ist ein Brief, in dem sie all die ungesagten Dinge verarbeiten kann. Dinge, für die sich niemand interessiert hat, die man nicht hören, die man nicht wissen wollte. Sogar bei ihrer eigenen Familie hat sie das Gefühl, nicht willkommen zu sein, als sie endlich nach Hause kann, als der Krieg endlich zu Ende ist. Sie weiß, ihrer Familie wäre es lieber gewesen, wenn der Ehemann, der Vater nach Hause gekommen wäre. Stattdessen kommt die Tochter, die Schwester. 

Einige Familienmitglieder erleiden den Lagerkoller, obwohl sie nie in einem Lager gewesen sind. Zwei Familienmitglieder bringen sich gar um. 

Sie schreibt über eine Frau, eine Frau, die Ministerin gewesen ist in Frankreich. Eine Frau, die wie sie selbst das Lager überlebt hat. Eine Frau, die noch heute Teelöffel klaut. Teelöffel, die sie benötigte, um in Birkenau die Suppe nicht schlürfen zu müssen. 

6 Millionen umgekommene Juden, in Lagern, in Ghettos, am Rand der Massengräber erschossen, vergast, aus nächster Nähe getötet. Marceline Loridan-Ivens ist nach eigenen Aussagen eine von 160 der 2500 Zurückgekommenen, die noch am Leben sind.

„Und du bist nicht zurückgekommen“ – ein erschütterndes Zeitzeugnis. Ein kleines Buch mit einer ganz großen Geschichte. Es ist die Geschichte einer Frau, die die Hölle überlebt hat.  Eine Geschichte, die erschüttert. Eine Geschichte, so intensiv, dass sie den Leser lange Zeit nicht loslassen wird.  





Gebundene Ausgabe
111 Seiten
Verlag: Insel



Herzlichen Dank, dass ich dieses einmalige Zeitzeugnis 
lesen, besprechen und vorstellen durfte!



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