Samstag, 27. August 2016

"Die Tage, die ich dir verspreche" von Lily Oliver

Nachdenklich, unendlich traurig und herzzerreißend schön!

Gwen, eine junge Frau, hat nach langer Wartezeit endlich ein Herz transplantiert bekommen. Während alle von ihr erwarten, dass sie vor Glück überschäumt und tatendurstig ihr neues Leben in die Hand nimmt, ist Gwen todunglücklich. Schuldgefühle plagen sie, denn sie hat das Herz nur bekommen, weil ein anderer Mensch sterben musste. Den Satz "Alles wird gut" kann sie nicht mehr hören. Sie ist schier verzweifelt, doch niemand merkt es. Dann fasst sie einen Entschluss. Sie möchte ihr Herz jemanden geben, der damit wirklich glücklich wird. Sie möchte es hergeben und sterben. Gwen ist fest entschlossen. Sie meldet sich in einem Forum an, das spezialisiert ist auf Herztransplantationen. Betreut wird das Forum von Noah, einem jungen Studenten. Seine Mutter ist Herzchirurgin. Als Gwen im Forum ihr Herz anbietet, hält Noah die junge Frau für einen sogenannten Troll, einen Fake. Wie ernst es ihr tatsächlich ist, muss er erfahren, als sie quer durch Deutschland fährt und plötzlich vor seiner Wohnungstür steht. Er, der selbst nicht weiß, was er Anständiges anfangen soll mit seinem Leben, versucht mit einer List die verzweifelte Gwen davor zu bewahren, sich etwas anzutun. 

"Die Tage, die ich dir verspreche" - ist eine fesselnde und zutiefst bewegende Geschichte. Es ist ein ganz außergewöhnlicher Roman. Immer wieder muss man sich fragen, wie man selbst fühlen würde. Glück darüber spüren, dass endlich ein passendes Spenderorgan gefunden wurde? Wie geht man mit dem Gedanken um, dass man dieses Spenderorgan nur bekommen hat, weil ein anderer Mensch gestorben ist? Ein Mensch, der nicht freiwillig gegangen ist. Die Autorin schafft es hervorragend, die Ängste, die Zweifel und die Schuldgefühle darzustellen. Auch die Schuldgefühle anderen Patienten gegenüber, die nicht so viel Glück hatten, für die jede Hilfe zu spät kam. Jede einzelne Zeile hat mich berührt, hat mich nachdenklich gemacht. 

In meinem Arbeitsumfeld habe ich zwei Kollegen, denen eine Niere transplantiert worden ist. Ich habe mitbekommen, wie es ist, plötzlich einen Anruf zu bekommen. Die Tasche fürs Krankenhaus steht immer bereit. Der Anruf, alles stehen und liegen lassen. In die Klinik fahren. Freude, Daumen drücken. Und dann doch wieder einen Fehlalarm hinnehmen zu müssen. Dann plötzlich klappt es doch. Die Operation gelingt. Ich kann mich noch an die Fotos des einen Kollegen erinnern, an die Berge von Medikamenten, die einzunehmen sind. An die Gedanken und Gefühle, die er bei Facebook gepostet hat. Inzwischen führt er wieder ein normales Leben, doch was heißt normal? Normal, so wie ich ihn jeden Tag im Büro erlebe? 

"Die Tage, die ich dir verspreche" - es ist ein großartiges Buch! Hier geht es auch um Kommunikation. Man erfährt, wie wichtig es ist, miteinander zu sprechen. Manchmal möchte man die beiden jungen Protagonisten schütteln, ihnen zurufen: "Sprecht endlich miteinander! Sagt die Wahrheit. Sprecht über Eure Gefühle!" Dies auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verstehe ich aber auch, warum sie dies gerade nicht tun. Sie wollen niemanden verletzen. Noah, dem es mit einer Lüge gelingt, Gwen davon abzuhalten, sich etwas anzutun. Wie soll er ihr plötzlich die Wahrheit sagen? 

"Die Tage, die ich dir verspreche" - eine mitreißende Geschichte, manchmal so zart, so leicht, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Eine Geschichte, nachdenklich, unendlich traurig und herzzerreißend schön!




EBook
368 Seiten
Verlag: KNAUR



Herzlichen Dank an Patricia Keßler vom Verlag KNAUR,
die es mir ermöglicht hat, dass ich diesen wunderbaren Roman lesen und besprechen durfte!




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